plus minus gleich
Sonntag, 26 Oktober 2014 19:44

Reisebericht: Thunersee im Zeichen historischer Motorschiffe

Artikel bewerten
(27 Stimmen)

Eine interessierte Besucherschar der Schiffs-Agentur trifft sich vor der BLS-Werft Thunersee. Der Tag steht ganz im Zeichen des Saisonsendes 2014, eine Woche später als auf andern Seen. Die Exkursion steht aber auch im Zeichen historischer Motorschiffe, von denen die Thunersee-Flotte eine stattliche Anzahl besitzt, nebst zwei Dampfschiffen und moderneren Einheiten. Eingehaust liegt die „Spiez“ mit Jahrgang 1901 an Land; sie soll 2016 wieder in Betrieb kommen. In der Werfthalle befindet sich die „Niesen“ (1935, seit 2000 BLS-Werftschiff) für einen Unterwasseranstrich und die Erneuerung des Daches. Vor der Werfthalle dümpelt ohne Schrauben aber sonst voll ausgerüstet MS Stadt Bern (1956, seit 2004 ausser Betrieb). Und schliesslich rundete eine Rundfahrt mit der „Oberhofen“ (1939) unsere Exkursion ab. Insgesamt durften 30 Teilnehmende auf vier Schiffen 325 Jahre Technikgeschichte bewundern.

Ruedi Storchenegger, Leiter Infrastruktur und Projekte der BLS-Schifffahrt, begrüsst uns vor dem „Spiezerli“. Die eine Gruppenhälfte begutachtet das Schiff auf einer Begehung, die andere Hälfte erfährt viel Wissenswertes über den ehemaligen Schraubendampfer. 2008 wurde das Schiff stillgelegt mit der Absicht, das Schiff gelegentlich mit Fremdmitteln zu sanieren. Die IG Brienzerli und die Dampferfreunde des Thuner- und Brienzersees übernahmen in der Folge die Finanzierung in der Höhe von 2,5 Millionen Franken, die BLS die Projektleitung. Im letzten Jahr hat die Idee, das Schiff wieder mit Dampfkraft anzutreiben zu lassen, neuen Aufschwung erfahren. Marc Oesterle, namhafter Sponsor des DS Neuchâtel, stellt für die Realisierung der Dampfidee eine Million in Aussicht. Eine passende Maschine liess sich im Dampfzentrum Winterthur finden mit der Anlage des ehemaligen Zürichsee-Schraubendampfers Lützelau.

Bei der Zerlegung der Dampfmaschine wurden Risse in der Stegführung am Maschinenblock (Hochdruckseite) festgestellt. Abklärungen entsprechender Firmen gehen zwar davon aus, diesen Schaden reparieren zu können, aber eine nachhaltige Werkgarantie will keine der offerierten Firmen abgeben. Dies hat den Projektausschuss veranlasst, die Revaporisierung mit der Lützelaumaschine zu stoppen. In dieser Projektphase wurde der BLS eine weitere Dampfmaschine angeboten. Es wird nun geprüft, ob das Projekt mit dieser Anlage möglich wird. Dies entscheidet sich Ende November. Die Maschine stand lange Zeit im Garten des SGV-Maschinisten Heimo Haas; sie wird nun zerlegt und untersucht. Falls die Ergebnisse positiv ausfallen, wird es zu einer aussergewöhnlichen Zweckgemeinschaft kommen: die Öswag Werft Linz AG ist mit der Gesamtplanung beauftragt und die Shiptec AG Luzern würde in diesem Fall die Revision der Maschine ausführen. Falls dies technisch oder finanziell nicht geht, untersucht man weitere Optionen. Dies könnte der Nachbau der Spiez-Originalmaschine sein, da die Pläne dazu vorhanden sind. Oder der Bau einer neuen DLM-Dampfmaschine kommt in Betracht oder schliesslich der Einbau eines neuen Dieselmotors.

Die Besichtigung der Werft ist ein zweites Highlight. Die „Niesen“ steht auf dem Schlitten, ein Schiff aus dem Hause Escher Wyss, das für MS Oberhofen zwei Mal eine wichtige Rolle spielte. Zuerst bei der Konstruktion; die Zeit zwischen Bestellung von vier Landischiffen für den Zürichsee und die Auslieferung war dermassen knapp, dass man die Pläne der vier Jahre zuvor erbauten „Niesen“ praktisch 1:1 übernahm. Als später das Glattdeckschiff Ente, wie die „Oberhofen“ in Zürich hiess, auf den Thunersee kam, baute die BLS die Decksaufbauten exakt nach dem Vorbild der „Niesen“ auf, sodass man zu Recht von einem Schwesterschiff sprechen kann.

Ruedi Stochenegger richtet in seinen Ausführungen einen weiteren Fokus auf die Werfthalle. Geschichtlich detailtreu erklärt er die verschiedenen Erweiterungsetappen des imposanten Gebäudes. Der hintere Teil des Daches, der Aufzug mit der 6,8% geneigten schiefen Ebene und das Maschinenhaus, wo grosse Seilwinden und Trommeln die Schiffe auf dem Wasser ziehen stammen aus dem Jahr 1904. Die Tage der Werft sind nun gezählt. Der Regierungsrat des Kantons Bern hat bereits ein Signal gesetzt und die rund 13 Millionen Franken teure Trockendock mit einer entsprechenden Empfehlung an den Berner Grossen Rat (Parlament) überwiesen. Dieser berät das Geschäft voraussichtlich im Januar 2015. Bei einer Annahme sollte dann die geplante Werfthalle im Frühling 2017 fertig erstellt sein. Sie wird 20 m länger als die heutige Anlage. Der BLS-Wunsch nach einem zusätzlichen Schwimmdock analog jenes in Zürich, Lausanne und Luzern kann dabei nicht in Erfüllung gehen. Zum einen sind es finanzielle Überlegungen, aber hauptsächlich topografische Gründe: unter anderem lässt die ungenügende Wassertiefe vor der Werft eine solche Anlage nicht zu.

Dritte Station war der Besuch der abgestellten „Stadt Bern“. Ein Augenschein an Bord hinterlässt einen guten Eindruck der Bausubstanzerhaltung, sodass es gar nicht unrealistisch erscheint, dass eines Tages die „Stadt Bern“ nach dem Vorbild des Schwesterschiffes Jungfrau (heute Brienzersee) wieder zu neuem Leben erweckt wird. Nach der Flottenstrategie gefragt meint Ruedi Storchenegger: „Eine mögliche Option besteht darin, die ‚Beatus’ und ‚Stadt Bern’ zu erhalten und die ‚Niederhorn’ aus dem Verkehr zu nehmen.“

Nun ist es Zeit, Wasser unter den Kiel zu bekommen: die „Oberhofen“ steht für uns bereit zur Kaffee-und-Kuchenfahrt. Inzwischen scheint die Sonne, die Fahrt führt über das Kanderdelta, wo jahrelang DS Blümlisalp auf seine Rettung wartete hinüber nach Oberhofen für einen Fotohalt. Der Fahrgastraum kann wunderbar geheizt werden, auf dem Aussendeck kündigt sich der Herbst an, die Sonne verschwindet aber früh im Zuge der heute umgestellten Winterzeit.

Lukas Reimann, heute Betriebsleiter der URh und als Kind regelmässiger Feriengast mit seiner Familie in Merligen berichtet in seinem Kurzvortrag über die wechselvolle Geschichte von MS Oberhofen: „Sie hiess ‚Ente’ und war eines von vier Schiffen für die schweizerische Landesausstellung in Zürich.“ Wo heute diese Schiffe noch anzutreffen sind, weiss Leo Ullmann, der sie Ende der Neunzigerjahre gerettet und nach Holland verkauft hat: „MS Taucherli wurde nach der Landi die ‚Speer’; sie kam 1997 nach Kampen (Holland) auf die Ijssel. MS Schwan wurde zur ‚Halbinsel Au’ und fährt seit 1998 in Amsterdam als ‚Euro’. MS Möve fährt seit 1999 in Brüssel unter dem Namen ‚Gueuse’. Und die „Ente“ kam nach dem Thunersee-Einsatz 1999 bis 2013 ins Exil auf holländische Gewässer als ‚Vriendschap’. Erstaunlich ist, dass sie alle noch den originalen Escher-Wyss-Verstellpropeller fahren.“

MS Oberhofen fährt im Hafen Schadau zur Anlegestelle bei MS Stadt Bern. Blick in die vordere Kajüte von MS oder DS Spiez; die Rennovationsarbeiten sind weit fortgeschritten – noch fehlt die Maschine. Eine Option könnte dieses Modell sein, das zZ in der Werft Shiptec in Luzern geprüft wird. 110 Jahre BLS-Werfthalle Thunersee: Ruedi Storchenegger erklärt die baulichen Etappen vor der aufgedockten „Niesen“. Marco Kaufmann ist der verantwortliche Schiffführer der „Oberhofen“. Als Abschluss des Tages gibt es eine kurze Parallelfahrt mit MS Beatus. Bild 3 M. Bisegger mit freundlicher Genehmigung Shiptec und BLS, Text und übrige Bilder H. Amstad

Weiter über MS Oberhofen: Link

 

Schreibe einen Kommentar