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Samstag, 15 November 2014 19:21

Schale von DS St. Gotthard Baujahr 1843 verschrottet

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Bis vor wenigen Jahren waren Elemente von drei der vier ältesten Vierwaldstättersee-Dampfschiffen* noch vorhanden. Die Schale des ersten Raddampfers Stadt Luzern aus dem Jahr 1837 diente der SGV bis 2005 als Dienstschiff (Bilgenwasser-Entleerungsboot). Der Dampfer Nr. 4 war die „Rigi“ mit Jahrgang 1848, der im Verkehrshaus der Schweiz in Luzern als ältester noch erhaltener Raddampfer weltweit zu bewundern ist. Der Schiffsrumpf des zweiten Dampfschiffes St. Gotthard mit Baujahr 1843 war über 100 Jahre lang als Rammschiff unterwegs. Seit letzter Woche ist nun das Schicksal der „St. Gotthard“ endgültig besiegelt worden: Die neue Besitzerin des Schiffes, die Firma Kibag, trennte sich vom alterehrwürdigen Rammschiff.

So wird mir vor Augen geführt: Nichts auf dieser Welt ist für die Ewigkeit gemacht. Der Lauf der Dinge ist der Lauf der Zeit. Wenn man betrachtet, mit welch enormen Aufwand zum Beispiel das Verkehrshaus der Schweiz bemüht ist, ihr Schmuckstück „Rigi“ nur einigermassen „im Schuss“ zu halten mit den notwendigsten Erhaltungsarbeiten, wäre der Aufwand unverhältnismässig gewesen, die Schale der „St. Gotthard“ zu retten oder später gar den urtümlichen Dampfer zu rekonstruieren. Trotzdem ist das Verschwinden dieses 171-jährigen Zeitzeugen bedauerlich. So soll mindestens die Geschichte dokumentarisch der Nachwelt erhalten bleiben. Josef Gwerder, der unermüdliche Schifffahrtsforscher tut dies mit folgenden Recherchen:

„Als zweites Schiff auf dem Vierwaldstättersee liess die Knörr’sche DG 1843 den Raddampfer St. Gotthard bei Escher Wyss bauen. Mit der Inbetriebnahme der beiden Salondampfer Italia und Germania beschloss der Verwaltungsrat, die nunmehr bald 30-jährige, in allen Teilen veraltete „St. Gotthard“ auszumustern. 1872 stand diese mit 7 182 km als Reserveschiff ein letztes Mal im kursmässigen Einsatz.Anschliessend erfolgte der Umbau in ein Güterschleppschiff ohne Antrieb. Kessel und Maschine konnten wegen der hohen Altmetallpreise für 6 000 Franken an Escher Wyss verkauft werden. Das Deck wurde verstärkt für eine Lastaufnahme von 3 000 Zentner Tragkraft, Aufbauten gab es keine. Ab Frühjahr 1873 war das Schiff für Materialtransporte im Zusammenhang des Gotthardtunnelbaus einsatzbereit.

Genaueres über den enormen Güterverkehr habe ich aus den Lebensaufzeichnungen von Kapitän Melchior Schriber, Grossvater meiner Frau, erfahren. Er stand 1893/94 als Schleppschiffführer im Einsatz. Er war der Verantwortliche für den gesamten Steintransport zum Bau des neuen Bahnhofes von Luzern. Vom Steinbruch Fallenbach bei Brunnen waren 36 000 m3 Steinblöcke nach Luzern zu transportieren. Als Schlepper wurden die beiden DGV-Schraubendampfer Mars und Schwan eingesetzt. Als grösster Schleppkahn, auf welchen 54 m3 geladen werden konnten, stand ex-DS St. Gotthard im Einsatz.

1890/91 baute man auf das Deck einen Rammturm auf, um so die vielen Pfahlarbeiten durch die VDGV selbst zu bewerkstelligen. Zu diesem  Zweck wurde ein Dampfkessel von 7 atü Druck zur Bedienung der Dampframme und der Dampfwinde eingebaut. 1898 erfolgte der Umbau zum Selbstfahrer: Kessel und Maschine konnten von der „Rhône No. 3“ der Mouettes Genevoises günstig erworben werden. Das Rammschiff leistete fortan beim Unterhalt der Stationsanlagen und Landungsbrücken wertvolle Dienste. Es wurde auch laufend gut unterhalten und ständig modernisiert. Legendär war der Wohn- und Schlafraum im zweithintersten Schalenraum. Fast alle Rammarbeiten und der Stationsunterhalt wurden in der verkehrsarmen Winterzeit ausgeführt.

Da die Fahrgeschwindigkeit bloss 8 km/h betrug war die Mannschaft an entfernteren Landestellen gezwungen, oft wochenlang an Ort zu verweilen. Sie bestand aus etwa fünf bis sechs Mann – wovon einer nebenbei als Koch in Aktion trat. Es war eine sehr strenge und harte Arbeit, welche wetterfeste und gesunde Männer verlangte. Musste ich zu Kontrollarbeiten oder Absprachen das Rammschiff aufsuchen gab’s sicher zuerst einen feinen, „gestampften“ Kaffee in der warmen Kombüse...

1968 bekam die Ramme einen neuen, umklappbaren Turm, um so die Acheregg-Autobahnbrücke unterfahren zu können. 1973/74 wurde zur Verkürzung der Fahrzeiten die Dampfmaschine durch einen Dieselmotor ersetzt, die Rammanlage war aber weiter mit Dampf betrieben. 1988 erfolgte der Einbau eines modernen Hydraulikkranes und einer Hydraulik-Pumpenanlage. Eine hydraulische Winde für 3,5 t und eine Winde für 15 t, welche durch Übersetzung bis zu 30 t Zugkraft erhöht werden konnte, diente fortan beim Ausziehen von Pfählen. Auch ein Dieselaggregat zur Stromerzeugung für 30 kW (240/380 V) kam zum Einbau. Auf dem Schiff wurde nicht mehr übernachtet und der Personalbestand von fünf auf drei Mann reduziert.Infolge Umstrukturierungen verkaufte die SGV im Jahr 2013 den Veteran an die Kibag und vergibt seither alle Rammarbeiten auswärts.“

1: DS St. Gotthard vor 1870 am Ort der heutigen Brücke 10 in Luzern. 2: Aufnahme der Pfahlramme um 1964 noch mit Dampfantrieb, im Heckteil unter Deck befinden sich vor der Maschine und dem Dampfkessel die Küche und der Aufenthaltsraum mit sechs Schlafkojen. 3: Eben wird ein Pfahl gerammt: gut sichtbar der 700 kg schwere Rammbär, dessen Fallhöhe durch das Seil rechts ausgelöst wird. Der Maschinist Christiaan Ziegler im Hintergrund bedient die Dampfwinde, die beiden Männer links richten und fixieren das Rammschiff, sodass der Pfahl am richtigen Ort und senkrecht geschlagen wird, Aufnahme um 1960 bei Weggis. 4: Aufnahme vom Mai 1988: im Wasser sind die Phähle für den baldigen Einsatz vorbereitet. 5 bis 7: Exemplarische Nachhaltigkeit früherer Konstruktionskunst - nach 171 Jahren (!) Einsatz zerschneidet der Schweissbrenner die intakte, genietete Schale. Ein letzter Blick zeigt die Filter für die Speisewasseraufbereitung des Dampfkessels der Rammmaschine. Bilder: 1 Sammlung H. Amstad, 2 und 3 Archiv J. Gwerder, 5 M. Bisegger, 6 und 7 R. Gwerder, Redaktion und Bild 4 H. Amstad.

* Das dritte Schiff in der „Ewigenliste“ war die „Waldstätter“ – sie verschwand relativ „früh“ im Jahr 1925 durch Verschrotten.

 

 

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