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Dienstag, 30 Dezember 2014 18:19

Weihnachtsgrüsse aus Rio de Janeiro: von der „Karlsruhe“ zur „Ipanema“

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Der Verfasser zahlreicher Schifffahrtsbücher und regelmässiger Berichterstatter der Dampferzeitung Karl F. Fritz, „Bodenseekarle“ genannt, ist den Schifffahrtsfreunden wohl bekannt. Während der Schifffahrtssaison bedient er BSB-Stationen, gibt professionelle Auskünfte und verkauft Fahrkarten. Nach Unteruhldingen und Überlingen ist er seit drei Jahren in Dingelsdorf tätig und unterhält in seinem Kassenhäuschen eine kleine aber feine Sammlung von historischen Bildern und nautischen Gegenständen, die beim Erzählen der Anekdoten und Geschichten über die Bodensee-Schifffahrt lebendig werden. Im Winter zieht es ihn in den warmen Süden; seine Frau hat in Rio de Janeiro eine kleine Wohnung. Von dort aus unternehmen sie regelmässig einen Schiffsausflug zum Naherholungsgebiet Ilha de Paqueta – einem Inselparadies am Rande der brasilianischen Millionenmetropole. Mit folgendem Bericht schweifen wir in die Ferne und in die Wärme, jetzt wo bei uns der Winter eingekehrt ist.

„Die Fahrt beginnt am Placa Quince, dem Platz des 15. November. Von der Metro-Station und den Häuserschluchten des Stadtteils Carioca sind es knapp 10 Minuten, bis uns eine frische Meeresbrise und der unverkennbare, würzige Geruch von Salzwasser um die Nase weht. Noch verbirgt sich die Baia de Guanabara hinter dem opulenten, im neobarocken Stil erbauten Abfertigungsgebäude, wo früher die grossen Passagierdampfer aus aller Welt anlegten. Heute befinden sich hier die „Bilheterias“ für die Fährverbindung zur Nachbarstadt Niteroi und Ilha de Paqueta. Die Fahrausweise gibt es in Form einer Chipkarte, die in ein Drehkreuz eingeführt werden müssen. Das Reisepublikum setzt sich aus Menschen aller Hautfarben aus nah und fern zusammen: Familien mit erwartungsfrohen Kindern, Touristen aus Europa und den Vereinigten Staaten und einheimische Insulaner mit vollbepackten Einkaufstaschen. Der Zustieg auf unser Schiff namens Ipanema erfolgt über eine Auflegebrücke, die allerdings nur dem Personenverkehr oder dem Transport von kleineren Handkarren dient.

Auf einer Schiffslänge von 56 Metern und 13 Metern Breite stehen den Passagieren etwa 1000 Sitzplätze zur Verfügung. Komfort nach den Massstäben der europäischen Binnengewässer gibt es nicht, trotzdem wirkt die Zweideckbauweise dieser Schiffe auf ihre Art maritim. Die Freideckplätze sind mehr als bescheiden und nur auf dem achteren Teil des Oberdecks und einer schmalen Galerie unterhalb des Steuerhauses für die Passagiere zugänglich. Die Besatzung setzt sich aus zwei Schiffsführern, einem Maschinisten und einer freundlichen Matrosin mit umgelegter Schwimmweste zusammen. Staunend betrachtet sie ein Foto der ‚Karlsruhe’. Sie schüttelt ungläubig den Kopf, als ich ihr erkläre, dass dieses Schiff aus dem Jahre 1937 stammt. ‚Mentiro’ (Lüge) meint sie und mustert mich mit ungläubigem Blick aus ihren Kulleraugen. Aber glücklicherweise habe ich noch einen Flyer mit den anderen Bodenseeschiffen und den Jahreszahlen dabei. ‚Gente’ (nicht möglich). Sie bedankt sich herzlich und entert über die Leiter in das Steuerhaus, um ihren Kollegen über die ‚Barcos Maravilhoso’ auf dem ‚Segundo Mar Aqua doce’ in West-Europa zu erzählen.

Die ‚Ipanema’ ist mit zwei MAN-Sechszylinder-Dieselmotoren von je 600 PS ausgerüstet, die zwei vierflügelige Doppelschrauben antreiben. Die Geschwindigkeit liegt bei rund 21 km/h. Schneller geht es nicht, denn der Leertiefgang liegt bei rund drei Metern. Insgesamt hinterlässt das Schiff einen robusten, stabilen Eindruck. Der Maschinenraum gleicht einer Halle und ist schätzungsweise doppelt so gross wie früher auf der „Allgäu“. Ausser den Quartieren für die Schiffsmannschaft und einer Küche für den eigenen Bedarf gibt es in den Unterdeckräumen kaum eine Infrastruktur. Ganzer Stolz der Besatzung ist eine neue, multifunktionale Kaffeemaschine. Im Steuerhaus begrüsst mich Capitao Martim Bernardes mit kameradschaftlicher Herzlichkeit. ‚Voce tambem Capitao?’ (ob ich auch Kapitän sei) will er wissen. ‚Nao, eu trabalho em Bilheteria e ajudo  em ancoragem de Estacao muito antiga de Dingelsdorf, uma Bairro de Cidade Konstanz! (Nein ich arbeite als Fahrkartenverkäufer in Dingelsdorf, einer der ältesten Landestellen in einem Stadtteil von Konstanz.) Ich erkläre ihm aber, seit frühester Kindheit mit der Schifffahrt verbunden zu sein und auch die letzten Dampfschiffe noch gekannt habe.

Auf der Fahrt lässt sich unschwer nachvollziehen, dass die ersten portugiesischen Seefahrer sich angesichts der knapp 400 Quadratkilometer grossen Fläche der Baio de Guanabara sich in einer gigantischen Flussmündung wähnten. Am nördlichen Ufer bei Niteroi sind Kriegsschiffe stationiert. Überwiegend sind es Versorger, sogenannte Trossschiffe, hinter deren grauen Stahlleibern die Segelmasten der ‚Sagres’, dem ehemaligen deutschen Schulschiff Horst Wessel herausragen. Die Berge der bis zu 2 700 m hohen Serra do Mar hüllen sich in dichte Wolken. Ein untrügliches Zeichen für vorangegangene Regenfälle sind treibende Baumstämme und Pflanzenteppiche aus den verschiedenen Zuflüssen. Immer weiter bleiben der Corcovado mit der weltbekannten Christusstatue und die beiden markanten Berge von Tijuca hinter dem Kielwasser der ‚Ipanema’ zurück. Stattdessen tauchen jetzt zahlreiche kleine Felseninseln auf und teilweise wird das Fahrwasser sogar durch Bojen markiert. Immer näher schiebt sich unser Ziel, die Ilha de Paqueta, ins Blickfeld. Der Namen entstammt der Sprache der Tupi-Indianer und bedeutet so viel wie Muschel-Insel.

In weitem Bogen umrundet die „Ipanema“ den nördlichen Hügel des malerischen Eilandes und steuert den in einer geschützten Bucht liegenden Schwimmsteg an. Den Landungsplatz säumen eine bunte Palette von Souvenirläden, kleinen Restaurants, den sogenannten Luncherias und hübschen Anwesen im unverkennbaren brasilianischen Landhausstil. Aus der Ortsmitte ragt der schlanke Turm einer neogotischen Kirche. Autos sind auf der Insel tabu, das einzige Kraftfahrzeug besitzt die Ortspolizei. Als Fortbewegungsmittel können zu einem Preis von 100 Reai, was etwa 35 Euro entspricht, Fahrraddroschken, ähnlich den chinesischen Rikschas gemietet werden. Schöne und gepflegte Spazierwege führen durch einen botanischen Garten mit uralten Affenbrotbäumen, die einzigen ihrer Art im gesamten Brasilien. Der Aufstieg zum höchsten Punkt der Insel erinnert an den Weg zur Burgruine Kargegg. Über ein Labyrinth an steilen Stufen und ausgewaschenen Wegen erreichen wir schließlich einen Pavillon, dessen Aussicht uns für den mühevollen, 10-minütigen Aufstieg voll entschädigt.

Zu unseren Füssen weitet sich der Blick über die gesamte Baio de Guanabara mit ihren Felsblöcken, den kleinen Inseln und im Hintergrund das Häusermeer von Rio de Janeiro. Am frühen Nachmittag treten wir mit der uns schon vertrauten ‚Ipanema’ die Heimfahrt an. Wir tauchen wieder ein in das pulsierende Leben der Millionenstadt und das Menschengewoge in den U-Bahn -Schächten. Nach 30-minütiger Fahrt, vorbei am weltberühmten Maracana-Stadion sind wir wieder zuhause.

Von Dingelsdorf nach Rio de Jeneiro: Karl F. Fritz verbringt den Winter jeweils in Brasilien. MS Ipanema sieht von aussen ganz nautisch aus; im Innern ist es ein reines Transportmittel mit rund 1000 Sitzplätzen. Blick auf Ilha Fiscal, einer im neogotischen Stil 1856  erbauten Zollstation, wo im Jahre 1888 der brasilianische Kaiser Dom Pedro II. ein letztes Fest feierte, bevor in Brasilien die Republik ausgerufen wurde. Kurs auf die monumentale Strassenbrücke Costa da Silva, die von Rio zur Nachbarstadt Niteroi führt; die Durchfahrtshöhe liegt bei 80 Metern, wo man ohne Probleme die Münstertürme von Konstanz und Überlingen darunter stellen könnte. Ziel der halbstündigen Fahrt ist Paqueta. Bilder 2 bis 6 K.F. Fritz, Redaktion und Bild 1 H. Amstad

 

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